Das Rauschen der Berge, die heller nicht sein könnten, selbst in der Nacht

Stadt mit hundertzwanzig Denkmälern. So müßte der Ort in meinem Profil im Social Web lauten, wenn ich Teil des Social Web wäre. Bist du aber nicht, sagt Virginia, und deshalb nehme ich das jetzt mal als Bezeichnung für meine Stadt, leicht abgewandelt, also statt Berlin dann: Die Stadt mit den hundertzwanzigtausend Denkmälern, aber wieso, wieso hat Swetlogorsk gleich hundertzwanzig bei gerade mal zehntausend Einwohnern? Und gehören dazu neben den üblichen Verdächtigen aus ostpreußischer Zeit auch schon die neueren Wunder wie das Fish Spa?

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Als ich dort saß, sage ich, um in fünfzehn Minuten für dreihundert Rubel die Hornhaut und alles mögliche andere von meinen Füßen runterknabbern zu lassen, auch Krankheiten, von denen ich nichts wußte, erzählte mir die Fisch Spa-Besitzerin endlich mal nicht, wie alle anderen, daß Swetlogorsk so viel heißt wie: heller Berg, sondern auch noch mehr. Am Anfang war das hier die prussische Siedlung Rusemoter, Moter = sumpfiges Tal, wahlweise auch Loch oder Höhle. Bizarr, sagt Virginia, wieviele Siedlungs- und später Städtenamen auf Sumpf referieren, fast jede zweite Stadt irgendwie. Die Ordensritter jedenfalls nannten die Siedlung um in Rauschen. Wow, warum? Darüber konnte ich weder bei der Fischzüchterin noch im digitalen Aktenschrank irgendwas finden, aber wenn ich so mein Ohr aus dem Fenster halte, das dank bionischer Technik ja bis zu fünf Kilometer weit hören kann, denke ich, es ist so simpel, wie man vermuten könnte: Rauschen eben wegen des Rauschens. Später unterschied man dann Rauschen-Ort, heute: Swetlogorsk I, und Swetlogorsk II, früher: Rausche-Düne. Ist denn da nicht alles eine einzige Düne?

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Der ganze Ort, sage ich, liegt so hoch über dem Strand, daß man einige Treppen zum Abstieg braucht. Und die Seilbahn?, fragt Virginia. Welche?, frage ich zurück, meinst du
– die von 1910, als Rauschen gerade Kurort geworden war, und die nicht mehr existiert
– die aus der Sowjetzeit, die zwar noch existiert, aber nicht fährt
– oder den Fahrstuhlturm aus Wellblech, der in der Mitte des Strandes aufragt und heute ebenfalls stillgelegt ist?

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Was für ein Monstrum!, ruft Virginia, als sie die Fotos geöffnet hat, ich hoffe, du verbringst den Rest deiner Zeit nicht mehr mit Bloggen oder Hamann Lesen, sondern drehst den Streifen, der sich hier, an der wahrscheinlich nicht ganz ungiftigen Ostsee, anbietet: Godzilla gegen den Fahrstuhlturm von Rauschen. Das Skypemikrophon verzerrt Virginias Stimme an dieser Stelle roboterhaft, danach sagt sie vielleicht auch noch was, doch ich höre auch hier nur Rauschen, dann Stille, in die hinein ich sage: Wenn du die Angst um die Folgen von Umweltzerstörung thematisieren willst, mußt du nicht mit Godzilla kommen, da reichen die Häuser, die hier, auf dem sandigen Untergrund, öfter absinken oder abrutschen, so daß sie angehoben oder umgesetzt werden müssen. Also Godzilla gegen die Riesendüne. Können wir die geschichtliche Dimension dieses Ortes denn ohne Godzilla nicht denken?, frage ich. Der könnte doch dann mit seinen Laserstrahlen auch gleich die Arbeit fortsetzen, die die Fische an deinen Zehen begonnen haben. Da gehen wir lieber in das hiesige 7D-Kino! Und was läuft da für ein Film: Swetlogorsk – die baltische Perle? Ja, genau, laßt uns wie Perlenfischer sein! Wieso eigentlich immer wir?, fragt Virginia, bist du vom alten sowjetischen Geist schon so besessen, daß du nicht mehr zwischen deinem und meinem Denken unterscheiden kannst? Weißt du was, sage ich, geh dahin zurück, wo du herkommst. Nach Beverly Hills?

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13. Mai 2013          19. Mai 2013