“Aus Mangel eines solchen Plans, und daß man nicht hinlänglich
über seinen Gegenstand nachgedacht hat, findt sich ein witziger Kopf in
der Verlegenheit, selbst nicht zu wissen, wo er den Anfang hernehmen
soll. Er bemerkt ein Gewühl von Ideen; weil er selbige aber weder
verglichen noch geordnet hat, so bleibt er in seiner Wahl unentschlüßig,
und gleichsam im Gedränge stecken.” (J.G. Hamann, S.421 Bd 4 der
Werke hrsg. v. Nadler)
Also nähert sich die Stadt mir recht ungeordnet, aber zunehmend
dichter. Hinweise und Spuren bereits vor der Abreise. Gestern bei einem
Abendessen mit dem russischen Schriftsteller Bitow bei dem Gastgeber
(und Dichter) Ryvkin sagte mir eine russische Dramatikerin: Königsberg?
E.T.A. Hoffmann hat mich verdorben, verdrehte die Augen vielsagend und
seufzte. Erst da fiel mir ein, dass der so fantastische E.T.A.
Hoffmann ja ein echter Königsberger war. Ich hatte erst kurz vor dem
besagten Abendessen die neue Ausgabe von Sinn und Form erworben, darin
einige “Miniaturen aus Königsgrad und Kalininberg” von K.
Ferentschik (der mit diesem Titel gleich die Klippe benennt, die es
zu umschiffen gilt. Aus welcher Stadt schreiben wir denn jetzt?)
Jede Miniatur ist einer Persönlichkeit gewidmet: Gleich der
erste Eintrag zu Kater Murr und seinem Denkmal, Ferentschik bemängelt
die Dürftigkeit des Hoffmann-Denkmals, etwas abseits gelegen, zu dem er
sich allabendlich gesellt. Dann der Hoffmann-Freund Hippel (verliebt in
eine 9-Jährige), Gottsched (machte sich aus dem Staub), Donelaitis
(litauischer Nationaldichter), Simon Dach (hier muß ich gestehen, dass
ich diese “Gedichtfabrik”, wie Ferentschik ihn nennt, nur vom Namen
kannte, aus dem Friedrichshain: Simon-Dach-Strasse, Ballermann der
alternativen Berlin-Touristen … also auch von dort führt es uns nach
Königsgrad), Münchhausen, Richard Wagner (Königsberger Schuldenmeister),
Lenin (versiegelter Zug), Alexej Leonow (der erste freischwebende
Kosmonaut, sank schließlich auf Kaliningrad nieder).
An Hamann hat er natürlich nicht gedacht! Das holen wir nach.
Gruppieren wir die Persönlichkeiten des Königsberger und Kaliningrader
Lebens einfach um ihn wie um einen Brunnen auf mittelalterlichen
Gemälden.