
Dieses ungebremste Gegeneinandercrashen zweier architektonisch völlig
unterschiedlicher Stile, zweier Jahrhunderte, ein nahtloser Übergang,
der zugleich ein Bruch ist, und in diesem Bruch sitzt vielleicht das 21.
Jahrhundert.
Getz ma ehrlich, schreibt mir Dario auf diese etwas zu lang geratene
Bildunterschrift zurück, daß Häuser, die SO aussehen, und andere, die SO
aussehen, nebeneinanderstehen, das war schon immer so, seit es Städte
gab. Bin gerade in Graz, übrigens, und hier bestreiken die
Kreativarbeiter seit zwei Tagen das Lendviertel, für höhere Stundenlöhne
der Grafikdesigner, Künstler etcetera. In einer Woche sehen wir mal,
was davon noch übrig ist.
Auch nach über einer Woche verstehe ich hier bis auf zweidrei Phrasen
nichts, für mich ist das nach wie vor ein sprachlicher Darkroom,
schreibe ich Dario.
- Wolltest du nicht so ne Art Fashion Blog da machen?
- War mal einer der Pläne.
- Laß mich raten: Die Leute tragen immer noch die Sowjetklamotten von 1987.
- Ganz selten schon, aber ansonsten sind es vor allem die Wohnhäuser,
die noch die alten Klamotten tragen, und ihre Bewohner sind ganz gut
angezogen, da kann man nicht meckern.
- Allein die Unterhaltskosten für diese Hochhausklötze! Und erst die Unterhaltungskosten für die Bewohner der Klötze!
- Ich will aber auch versuchen, das Schöne darin zu sehen!
- Du bist viel zu positiv, wenn nicht dort, wo dann kannst du mit dem Kapitalismus mal richtig aufräumen?!

Nachdenken über das eigene Verständnis von Ökonomie. Daß es seltsam
und zu viel erscheint, wenn sieben Leute in einem Café arbeiten, um drei
andere zu bedienen. Daß alles, bis zum Bringen der Rechnung und des
Rückgeldes, extrem lange dauert. Daß sofort irgendwas im Kopf das
Unökonomische daran rügen will und auch noch sofort in Verhältnis setzt
zur sowjetischen Vergangenheit. Könnte hinter diesem unökonomischen
Verhalten einfach eine andere Philosophie stecken, an die ich gar nicht
herankomme? [Nicht nur, weil ich die Sprache nicht mal spreche?] Zum
Beispiel der Gedanke, daß es schöner ist, wenn sieben Leute in einem
Raum sind, auch wenn nur drei Gäste kommen, als wenn es zwei Leute sind?
Sieben Leute stellen immerhin schon eine kleine Gemeinschaft dar,
stellen sie dar, performen sie, und das Performative trägt immer die
Bürde verschiedener historischer Schichten, an die man nicht unbedingt
rankommt. Trotzdem sind natürlich alle mittendrin im neoliberalen
Kapitalismus, auch die Universitäten müssen nun effizienter werden. Doch
immer wieder das Gefühl, daß sich etwas dazwischenschiebt, daß zwar an
vielen Stellen viele wollen, daß es klappt, aber es trotzdem nicht
klappt.
Als würde im richtig funktionierenden Kapitalismus, also bei uns, immer
alles klappen! Antwortet Dario, jetzt schon aus Frankfurt/Main. Hier,
schreibe ich sofort zurück, gibt es auf jeden Fall andere Dinge, die
nicht funktionieren, da scheinen mir Gentrifizierung, Touristenansturm
auf Börlyn und Gema-Gebühr für Clubs auf einmal wie Superluxusthemen.
Aber, schreibt Dario, weder in Hamann City noch in Börlyn wird es in
absehbarer Zeit eine Massenbewegung geben, die sich dafür ausspricht,
dieses Wirtschaftssystem, in dem alles aus dem Leim geht, umzubauen.
Gestern, antworte ich, habe ich zwei Straßen in der Nähe des Zoos
gesucht, und auf dem Weg dorthin kam mir ein Hund entgegen, lief an mir
vorbei, und kam dann zurück und folgte mir, und ich wußte nicht, was
jetzt tun, der lief mir nach, und ich stellte mir schon vor, wie ich
später ins Hotel zurückkommen würde, und der Hund wäre immer noch neben
mir, und ich würde ihn mit aufs Zimmer nehmen und fortan mit ihm leben.
Und während ich darüber nachdachte, stolperte ich über einen
Metallstutzen, konnte mich fangen, und als ich aufgehört hatte, mich
über den Stutzen und das Stolpern zu ärgern, war der Hund weg. Gerade
als ich mich irgendwie drauf eingelassen hatte, daß der Hund mich ab
jetzt begleiten würde. Und irgendwie ist die Geschichte dieser Stadt
auch ein bißchen so, die läuft dir hinterher und will irgendwas von dir,
und du willst sie verstehen und verstehen und fängst gerade an, und
wenn du mal kurz abgelenkt bist und dich danach umguckst, ist sie auch
schon wieder weg.
Oder, schreibt Dario, jetzt aus München, du bist der streunende Hund und
läufst der Geschichte der Stadt hinterher, und sobald die mal wieder
stolpert, bist du schon wieder zurück in den Luxusproblemen, wo
irgendjemand irgendwo auf eine Hauswand TINA gesprüht hat.
- Wer ist das, ne neue Band, die ich nicht kenne?
- TINA! There is no alternative!




