im Bild-Ton-Verfahren. (wenn möglich Sounds (blaue Schrift) mit Kopfhörer hören und in einem gesonderten Fenster öffnen, damit man Sound und Bild gleichzeitig hat)




Immer lauter

im Bild-Ton-Verfahren. (wenn möglich Sounds (blaue Schrift) mit Kopfhörer hören und in einem gesonderten Fenster öffnen, damit man Sound und Bild gleichzeitig hat)




Immer lauter

Einer ikonoklastisch geprägten Kultur wie der der Taliban, die sich nicht nur kein Bild von Gott, sondern gar keins machen wollen, entspricht im Westen ein entgegengesetztes Gebot: Du sollst dir ein Bild machen, von allem, überall und möglichst viel. Ob Zeitschriften, Urlaub, Partys, Events – und selbst in der Kunst und Kultur. Entscheidend sind die Bilder. Welches haftet, welches bleibt: Impressionen über Impressionen, Erinnerungen und – - – ? Und Sprache? Sicherlich wohnt den Bildern eine Sprache inne, über die Ikonen des Pop, der Macht zum Beispiel wurde genügend spekuliert. Mir scheint aber etwas anderes entscheidend zu sein. In der Flut der Bilder verliert sich ihr Sinn, ihre Festlegungskraft, sie relativieren sich. Der größte Skandal beiFilmfestivals wird nicht mehr erzeugt durch ein schreckliches Bild (Krieg, Inzest etc), sondern durch eine Bildpause, ein unscharfes oder scheinbar “sinnloses” Bild. Die Anhäufung der Bilder dient nicht der Häufung des Sinns so wie die Völlerei nicht mehr der Sättigung. Es geht darum, den vorhergehenden Sinn zu verdrängen, ungenau zu werden, unkonzentriert, sich zu entspannen.
Diesem kollektiven Happening der Bilder in unserer Gesellschaft
korreliert interessanterweise ein noch aus der Sowjetzeit herrührende
Bildphobie bei den Russen (und übrigens auch, wie ich vielen Berichten
entnehme, eine zunehmende Bildangst in den USA nach dem Trauma der
Türme). Es ist unerwünscht, an “strategischen Punkten” zu fotografieren
und das kann alles sein; vom Bahnhof über den Supermarkt bis zur Werft.
Strategisch ist alles, wo ein Wachmann steht und die stehen quasi
überall. Die Gesellschaft überwacht sich selbst und der russische Bürger
scheint diese psychotische Angst des FSB-Staates verinnerlicht zu
haben. Die Kaliningrader Zivilbevölkerung reagiert, auch im
russischen Vergleich, besonders hysterisch (kreischend, schreiend,
befehlend bis hin zu körperlichen Übergriffen) auf fotografische
Grenzüberschreitung, völlig losgekoppelt von einer realen Einschätzung
der “Bildgefahr”, die Blicke der Menschen in der City sind extrem
argwöhnisch gegenüber Fotoapparat und Mikrofon (wobei sie letzteres,
weil es eben keine Bilder produziert, nicht recht einschätzen können).
Diese kollektive Psychose und Angst* – was drückt sie aus? Es ist
relativ unwahrscheinlich, dass sich Terroristen als auffällige
touristische Deutsche kleiden und vor allen Augen Fotos machen. Noch
unwahrscheinlicher, dass man aus 300 Meter Entfernung in rostigen
Werften, die meist technisch den ausländischen hinterher hinken,
irgendein Geheimnis fotografieren könnte. Zeitgleich kann man problemlos
während den Vorbereitungen der Siegesparade die Dächer besteigen und in
herrlichster strategischer Aussichtslage jeden einzelnen Offizier ins
Visier nehmen. Es geht um keine reale Gefahr, es geht um die
kleinkindhafte Angst, man könnte etwas wegfotografieren oder sich ein
eigenes Bild machen. Es geht um Deutungshoheit, Beschränkung und die
innere Architektur der Macht. Es geht nicht um eine Ordnung der
Vernunft und der Gegenseitigkeit, sondern der Kontrolle, der
Reglementierung und der Selbstbestätigung. Aus diesem Blickwinkel ist
die Verurteilung von Pussy Riot allzu verständlich. Es wäre absolut
nicht hinnehmbar, wenn sich ein anderes Bild über die Ikonostase schöbe.
Nicht die Beleidigung der religiösen Gefühle ist von Relevanz, sondern
der Anspruch Pussy Riots, sich ein eigenes Bild zu machen an einem
neuralgischen Punkt. Und in einem psychotischen System des Kontrollwahns
werden irgendwann fast alle Orte zu neuralgischen Punkten. Von daher
ist es irrelevant, ob die orthodoxe Kirche tatsächlich vom KGB
durchsetzt ist, in dieser Hinsicht eint sie dasselbe Ziel. Du sollst dir
ein bestimmtes Bild machen oder gar keins.
Es liegen also drei Positionen vor, die allesamt entweder krank(machend)
oder kurzsichtig sind: Du sollst dir kein Bild machen (die Angst vor
der Beschmutzung des Heiligen), du sollst dir irgendein Bild machen
(Absenz von Heiligem) und du sollst dir ein bestimmtes Bild machen
(Götzenkult).
Eine mögliche Position wäre vielleicht: wenn du dir ein Bild machst,
lass es sprechen. Oder: du sollst zwei Bilder machen und sie
vergleichen. etc.
Oder so? Du sollst alle Bilder (oder Ansprüche), die sich letztgültig
geben, zerstören (denn auch dort, wo ein Bild nur auf seine Löschung
wartet, auf das nächste, gibt es sich letztgültig in seiner
Anspruchslosigkeit, ebenso wie der Anspruch, kein Bild sein zu wollen,
endgültig ist).
Auf in die Ostermesse!
Und weil wir nach russischer Definition Agenten sind (als vom Ausland bezahlt) – noch dies Bild, die Einsamkeit des Spions vor dem Hafen:

* und das beschränkt sich übrigens nicht auf Fotos. Vorhänge, selbst an
den schönsten Sonnentagen, sind in allen Wohungen und oft auch
Restaurants Pflicht, Autos haben dunkle Scheiben. Das kann natürlich
noch etliche andere Gründe haben. Zumindest eine Komponente sei hier
aber benannt. Überwachte und Überwacher werden nicht erst im Lager sich
ähnlich. Und übrigens nicht nur in Russland. Wovon auch noch zu erzählen
wäre.

Und, steht Hamann City noch?, fragt Virginia, leicht verzerrt, über
Skype. Na logo, sage ich. Was ist denn nun mit deinen groß angekündigten
Recherchen zu diesem großen Einkaufszentrum? Wirkt auf dem Foto, das
ich hochgeladen habe, wahrscheinlich größer, als es ist. Obwohl die
roten Klinker ein bißchen hinter den wie überall, sehr bunten
Werbebannern verschwinden, die klarmachen, daß es da drinnen eine Menge
Spaß zu holen gibt. Vom Haus der Technik zum Entertainmenthaus, was für
eine Aufstiegsstory!, rufe ich. Nicht so laut, sagt Virginia, und nicht
so naiv, in jedem Entertainment steckt doch auch ein Stückchen
Geschichte, oder, das wissen wir seit Guido Knopp, also los!
Gutgut, sage ich, weil du es bist, sage ich: Vom Epizentr, diesem
Startpunkt einer Erschütterung, in dessen Mauern sich auch ein
Supermarkt namens Bomba befindet, – Was ich echt Bombe finde!, wirft
Virginia ein –

führt eine Spur über die Nazizeit Königsbergs ins Ruhrgebiet:
Schlageter-Haus nannten die Nationalsozialisten das Gebäude. Zuvor war
es einfach Das Haus der Technik, war riesiger als der Moskowitersaal im
Königsberger Schloß und wurde, wie die vielen anderen Gebäude auf dem
Gelände der Deutschen Ostmesse, zur Ausstellung von Gütern der
industriellen Produktion genutzt.
Ostmesse, fragt Virginia, Ostmesse, da stellte man den Königsbergern
Produkte aus dem Osten vor, oder war es am Ende eine Art Völkerschau, wo
die Braunbärjäger Sibiriens und ihre Familien den bildungs- und
kleinbürgerlichen Augen der Ostpreußen vorgeführt wurden? Nein, sage
ich, neinnein, diese Art von Zugriff auf das, was im Osten lag, kam erst
ein paar Jahre später. Die Ostmessen oder Königsberger Messen sollten
Produkte aus genau DIESER Region, also Ostpreußen, featuren, um die
wirtschaftliche Kraft der Region zu stärken, die nach dem Ersten
Weltkrieg vom Rest des Reiches abgetrennt war. Zum Beispiel konnte man
über einen Schienenzugang alles ins Haus der Technik hineinfahren, was
es so an Maschinen gab, und wenn man dadurch ins Schwitzen gekommen war,
konnte man sich im hauseigenen Kino ein bißchen regenerieren, in den
Waldburglichtspielen.
Also ein richtiges Messegelände, mit allem Drum und Dran, stellt
Virginia fest, sogar, wenn ich das hier richtig bei Google Maps in der
Karte von 1925 sehe, samt Park, aber der wäre ja eher Marion Poschmanns
Gebiet. Jedenfalls, sage ich, gibts den noch, allerdings etwas
verwahrlost, und das Gelände steht heute voller Markthallen, wo es alles
gibt, was du dir vorstellen kannst, und auch einiges, was nicht, aus
Lautsprechern plärrende Werbung zum Beispiel, die ein bißchen wie der
Tonfall der Weimarer Republik klingt, nur auf Russisch.
Und was ist jetzt die Spur in den Ruhrpott, fragt Virginia, komm, bitte,
mach schneller, ich bin bald vierunddreißig und hab keine Zeit mehr für
endlose Geschichten. Eigentlich, sage ich, wollte ich dich noch bitten,
mir folgendes Buch zu besorgen, notfalls per Fernleihe, und mir zu
schicken: Adolph Wilutzky: Das neue Haus der Technik in Königsberg.
Einweihung zur elften Deutschen Ostmesse am 16. August 1925, 68 x 94 cm,
Schwache Knickspur. Bis das in Kaliningrad ist, bist du wieder hier,
und ich vor Langeweile gestorben, sagt Virginia, also: Erzähl! Und ich
sage: Mach ich morgen!

