
Ich sollte vor dem Schlafengehen wirklich kein Styropor mehr essen,
sagt Virginia über Skype zu mir, ich stelle mir vor, wie sie sich dabei
die Hand an den Kopf hält, ein wenig gegen die Stirn drückt, oder sich
die Schläfen massiert, damit die Kopfschmerzen weggehen, aber all das
sehe ich nicht, ich kann sie nur hören.
Und ich sollte nach dem Aufwachen erstmal die Regeln lernen, bevor ich
losgehe, sage ich zu ihr. Die Regeln eines Raums kann man ja auf zwei
Weisen kennenlernen: Entweder du lernst die Hausordnung auswendig,
verinnerlichst sie bis in die letzte Silbe hinein, und wenn du das Haus
betrittst, handelst du automatisch, wie du sollst. Oder du gehst rein
und lernst vor Ort, wie das Ding funktioniert, ergänzt Virginia, ich
nicke, auch wenn sie mich nicht sehen kann.
Das Schwimmbad ist von innen in Gelb und Weiß gestaltet, genau so, wie
das Haus des Sportklubs Albatros auch von außen gestaltet ist. Der Pool
im Schwimmbad hat eine Länge von fünfundzwanzig Metern. Im Whirlpool in
der Ecke haben sich einige Frauen versammelt.
Kaum bin ich eine Bahn geschwommen, sage ich zu Virginia, passiert was?
Deine Badehose löst sich auf oder so?, fragt Virginia. Nein, viel
schlimmer, sage ich, eine Frau kommt an den Beckenrand, offenbar die
Bademeisterin, in einem rosafarbenen Polohemd, und ich sage schnell auf
Englisch: Bitte nicht ansprechen, ich bin nur Deko! Doch sie zeigt auf
meinen Kopf. Dein Toupet?, fragt Virginia. NEIN!, sage ich, als ich
endlich verstehe, daß ich eine Badekappe bräuchte, um hier zu schwimmen,
nein, ich habe keine, ich bin zum ersten Mal hier, ich wußte das nicht!
Ich sage es so dramatisch, als wäre ich Teil einer Soap Opera und hätte
aus Versehen mit dem Partner von jemand anderem geschlafen, weil ich
nichts von dieser Partnerschaft wußte, nochmal: ICH WUSSTE DAS NICHT!
Und vor allem weiß ich nicht, wie ich es ihr erklären soll. Da fängste
ganz schön an, zu schwimmen, sagt Virginia, ich sehe vor mir, wie sie
mir dabei mit einem Auge zuzwinkert, Smileyhaft. Nachdem die
Bademeisterin zwei Minuten auf mich eingeredet und immer den Kopf
geschüttelt hat, wenn ich etwas sagte, sage ich zu Virginia, geht sie
und kommt mit einer schwarzen Kappe wieder, die ich ausleihen kann.
Kaum bin ich noch zwei Bahnen geschwommen, passiert das nächste, sage
ich. Jetzt das mit dem Toupet, sagt Virginia. Ein dicker russischer Mann
springt vor mir in die Bahn, bleibt stehen, ich schwimme an ihm vorbei,
und als ich zurückkomme, sind noch drei weitere dicke Männer dort,
stehen in der Bahn herum, alle mit derselben schwarzen Badekappe, und
nach wenigen Minuten haben sich dort sieben oder acht von ihnen
versammelt, nur einer hat eine rotweißgestreifte Kappe, ansonsten alle
die eine schwarze, und die stehen da nun. Stehen fünf Minuten, stehen
zehn, zwanzig Minuten, und ich schwimme immer um sie herum, um irgendwie
eine Bahn hinzubekommen. Dann, schlagartig, nach zwanzig Minuten,
verschwinden sie alle. Und nach wieder zehn Minuten sind alle zurück,
springen wieder, die Nase zugehalten, vom Beckenrand ins Wasser und
stehen herum. Nach gemeinsamem Saunabesuch: wieder Rumstehen. Ich frage
mich, was sie da genau machen. Tauschen sie (a) Drogen oder (b) einen
kleinen transparenten Flachmann, den man im Wasser natürlich nicht sieht
oder (c) einfach nur Worte? Stehen die hier nur, um sich auszutauschen?
Wie andere anderswo im Park Schach spielen oder Boule und dabei reden,
ist hier Samstagmorgen um acht Uhr Herumstehen im Schwimmbecken das
Programm. Ich würde gern verstehen, warum, vor allem, warum es mich
irritiert, daß sich hier Männer zum Reden verabreden, als könnten es
eigentlich nur Frauen sein. Eine weitere Regel dieses Raumes? Genauso,
wie Badekappen obligatorisch sind, sind Samstagvormittage vielleicht mit
dieser Versammlung von Männern verbunden, die irgendwo auch einen Ort
brauchen, um sich zu feiern, und sei es nur, indem sie da sind. Wie
Jugendliche, sagt Virginia, die einfach auf einem Parkplatz rumhängen
oder in der Mall. Vielleicht, weil die Männer das noch von früher
kennen, wo sich alle im Park versammelten oder an anderen Orten, wo der
kollektive Geist gefeiert werden konnte. Und da ich kein Wort verstehe,
das sie reden, kann es ja gut sein, daß sie hier philosophieren, so wie
Hamann über Sokrates schreibt: Seine Philosophie schickte sich für jeden
Ort und zu jedem Fall. Und Virginia liest an dieser Stelle weiter vor,
mit dem Hamann-Bändchen raschelnd: Der Markt, das Feld, ein Gastmal, das
Gefängnis waren seine Schulen. Oder meinst du, frage ich, das so zu
auszulegen, das Schwimmbad als Schule der Philosophie, wäre
übersensibel? Und Virginia sagt: Sensibilites, Schmensibilities, und
fügt hinzu, wieder raschelnd: Wie die Natur uns gegeben, unsere Augen zu
öffnen, so die Geschichte, unsere Ohren.
